Sterben können wir alle
"Days of the Dead" (Happy End Company) an den Treibstoff Theatertagen 2015. Von Christine Müller (Textarbeit aus der Kritikerplattform)
Als die Schauspielerin den Namen meiner toten Grossmutter sagt, zieht sich mein Herz zusammen. Sie liest den Namen von einem Holzkreuz, das mir an der Theaterkasse ausgehändigt worden war. Dazu die Bitte, darauf den Namen jener verstorbenen Person schreiben, der man an diesem Abend begegnen möchte. Kurz bereue ich, dass ich den Namen einer geliebten Person auf das aus Zahnstochern gebastelte Kruzifix geschrieben habe. Das ist schliesslich Theater, der Ort der Maskerade und des Spiels. Maskiert sind auch die fünf Darstellerinnen in "Days of the Dead": von der mexikanischen Totenmaske über Darth Vader bis zu Ziggy Stardust reicht das Spektrum. Und doch ist die Stille im Publikum andächtig, als die fünf Performerinnen die Namen der herbeigerufenen Toten aufzählen. In einer bootsähnlichen Kinderbadewanne haben sie zuvor einen Miniaturfriedhof improvisiert. Mahlers Requiem rahmt die Szene. Feierlich wird der Ankunft der Toten entgegengeblickt. Sie sind an diesem Abend zum Fest geladen. Seit mehr als einer Stunde bereiten die Schauspielerinnen der Happy End Company diese Zelebration des Lebens unter Mithilfe des Publikums vor.
OSAMA BIN LADEN UND KURT COBAIN
Als das Publikum emotional in der Einstellung ankommt, vereinzeln sich die Darstellerinnen im weitläufigen Raum. Eine kuschelt sich ins Publikum, beginnt ein Schwätzchen mit dem Zuschauer neben sich, erzählt, was sie am Nachmittag gemacht hat. Nichts Erwähnenswertes. Eine andere rückt Gegenstände auf dem bunt geschmückten Gabentisch zurecht, eine Dritte verschwindet im Separé. Dieser Raum im Raum erinnert an das Schlafzimmer eines Teenagers. An den Wänden haftet eine Ahnengalerie der Pop-Kultur. Bilder von Kurt Cobain bis Osama Bin Laden. Die feierliche Stimmung löst sich in der Banalität der Partyvorbereitungen auf.
WIDERSPRÜCHE UND DIVERGENZEN
Der Kontrast zwischen berührenden Szenen und Klamauk führt programmatisch durch "Days of the Dead". Das Thema inspiriert sich beim mexikanischen Pendant des Allerheiligenfests. Am "Dia de los Muertos" kehren die Verstorbenen für eine Nacht auf die Erde zurück und werden freudenvoll mit Musik und gutem Essen empfangen. Die Übersetzung des Titels ins Englische trifft die Stimmung des Stücks: trashiger Horror, dessen Gruselfaktor dem einer Geisterbahnfahrt entspricht. Die Genres mischt das schweizerisch-deutsche Kollektiv, das auch gemeinsam für Szenario, Dramaturgie und Regie verantwortlich ist, genauso fröhlich durcheinander wie die zitierten Bräuche. Totenkopfmaskierung, Tequila-Shots und kitschige Andachtsaltäre werden problemlos mit Piñatas, Luchadoras und spätromantischer Klassik vereint. Gleichermassen wechselt das Stück in kurzen Intervallen vom Varieté zum Musical, vom Monolog zur Comedy. Ein Leichtes also, die biblische Offenbarung des Johannes anhand der Zubereitung eines "apokalyptischen Salats" im Rahmen einer Kochshow zu erklären.
EIN HOCH AUF DAS LEBEN
In ihren knappen, funkelnden Kostümen schreiten, springen und schwirren die Performerinnen durch das Untergeschoss des Theater Roxy, schütteln ihre Körper in Ekstase, verharren eine gefühlte Ewigkeit lang rührungslos auf ihren Stühlen. Dem Publikum wird durchaus etwas zugemutet. Nicht nur belehrt und geläutert nach Hause gehen soll es (schliesslich ist das Theater!), auch auszuhalten gilt es manches. Schrille Sequenzen clashen mit Szenen, die nahegehen, vorausgesetzt es besteht die Bereitschaft, sich darauf einzulassen. Doch duldet das Skript diese Gefühle der Trauer, der Andacht und der Vertiefung nur einen Moment, schon zerreisst ein Witz die Gedanken, bricht die nächste Szene brutal mit der vorangegangenen, bringt eine Verlagerung des Schauplatzes alle in Bewegung. "Days of the Dead" ist eine multidisziplinäre und multimediale Performance, die mit ihren scheinbar unvereinbaren Sequenzen die Gefühlswelt des Publikums aufwühlt. Alleingelassen wird es damit durchaus nicht. Die Happy End Company geleitet mit einem Schluck Tequila und einem "Salud" auf das Leben in die Nacht, denn eines ist sicher: sterben können alle, da wird sich keiner blamieren. Warum sich also Gedanken machen? Die Party hat gerade erst begonnen.